Ausstellung Christina Wolf und Gernot Kaspersetz im Bunker Ulmenwall

Fotografien von Christina Wolf und Gernot Kaspersetz

Zwei fotografische Handschriften – kontrastreich, ehrlich, zutiefst menschlich. Die Gruppenausstellung From Street to Studio & Celebrate the Imperfektion bringt die Werke von Cristina Wolf und Gernot Kaspersetz in einen spannungsreichen Dialog. Beide vereint der Wunsch, das Ungesehene sichtbar zu machen – in Gesichtern, Bewegungen, Räumen – und darin in Momenten der Unvollkommenheit die Authentizität des Einzelnen sichtbar zu machen.

From Street to Studio

Celebrate the Imperfektion


Cristina Wolf, in Paraguay geboren und aufgewachsen, begann ihr künstlerisch-dokumentarisches Schaffen zunächst als Streetfotografin. Mit der Kamera durchstreifte sie die Gassen Bielefelds – immer auf der Suche nach jenen kurzen Momenten, in denen sich das Leben ganz ungestellt zeigt. Besonders in der Schwarzweißfotografie fand sie ihre Sprache: reduziert, direkt, kraftvoll. Ihre Aufnahmen entstanden auf Reisen ebenso wie vor der eigenen Haustür. Orte wie Berlin, Frankfurt oder Stockholm lieferten ihr dabei nicht nur visuelle Inspiration, sondern auch soziale und politische Impulse. Ihre Fotografie ist mehr als ästhetische Dokumentation. Cristina Wolf versteht ihre Arbeit als Zeugenschaft – für Freiheit, für Sichtbarkeit, für Vielfalt. Ihre Bilder halten den Wert des Augenblicks fest und hinterfragen zugleich die
gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen dieser entstehen darf. Es ist ein leiser, aber entschlossener Blick, der Fragen aufwirft: Wer wird gesehen? Wer bestimmt, was als „schön“ gilt? Und wie lassen sich Räume schaffen, in denen
Anderssein nicht Abweichung, sondern Bereicherung bedeutet. Unverkennbar sind hier Parallelen zu Vivian Maier und Sally Mann. Fotografinnen, mit einem dokumentarischer Blick auf das Alltägliche, bei dem persönliche Perspektiven
und eine besondere Sensibilität für Zwischenmomente im Vordergrund stehen. Seit 2024 widmet sich Wolf zunehmend der Studiofotografie – im Rahmen des Kollektivs Fotokiosk – Chips’n Helles in Bielefeld, ein eher unkonventionelles
Fotostudio in der Altstadt Bielefelds, welches sie gemeinsam mit ihren Kollegen Gernot Kaspersetz und Daniel Adriaans betreibt. In ihrem neuesten Projekt widmet sie sich der Erschaffung von Porträts im Dark Pop Art Stil: ausdrucksstark, kontrastreich, mit einem ausgeprägten Gespür für Licht und Schatten. Inhaltlich bewegen sich die Werke zu Themen der Vergänglichkeit, von Schönheit und der Frage nach Schein und Sein. Cristina Wolf versteht es, das Augenmerk des Zuschauers auf die großen und kleinen Momente des Alltags zu lenken, dadurch Menschen, Geschichten, Stimmungen, die sonst übersehen würden. Ihre Arbeiten sind eine stille, aber deutliche Einladung: hinzuschauen, zu hinterfragen und neue Blickwinkel zuzulassen. Als Frau in einem von Männern dominierten Feld setzt sie ein Zeichen – nicht laut, aber deutlich, nicht belehrend, sondern bekräftigend.

„I’ve never tried to use the camera as a passive observer.
For me, it’s always been a way to get closer, to be
involved, to examine something deeply.“ (Sally Mann)

Gernot Kaspersetz, ist gebürtig aus Detmold und arbeitete als Gitarrentechniker/Backliner auf Tourneen für national und international renommierte Bands und Künstler*innen. Hier entstanden auch seine ersten fotografischen Arbeiten. Heute arbeitet Kaspersetz als Orchesterwart am Theater Bielefeld. In seiner Fotografie nähert sich Kaspersetz der Welt in der
Tonalität von Ehrlichkeit und Unverfälschtheit. In seiner Serie Celebrate the Imperfection widmet er sich den Brüchen, den Rissen, dem menschlich Unperfekten. Er stellt sich der Frage, inwieweit oder ob Glücklichsein nach Momenten des Scheiterns überhaupt möglich ist. Die Antwort lautet für Kaspersetz ganz eindeutig „Ja.“ Das Unperfekte, Ungeschönte interpretiert er nicht nicht als Makel, sondern als Ausdruck innerer Wahrheit. Inspiriert von dem Gedanken des italienischen Schauspielers Vittorio Gassman, dass unsere Fehler uns nicht nur verwundbar, sondern auch mutig machen, schafft er Bildräume, die eine stille und zugleich lebendige Tiefe in sich tragen: „Unsere Imperfektionen verhelfen uns zu Angst. Der Versuch, sie zu lösen (sie zu akzeptieren), verhilft uns zu Mut.” Seine fotografische Handschrift ist von klarer Struktur, ruhiger Komposition und einem bewussten Spiel mit Kontrasten geprägt. Kaspersetz geht mit einem wachen Blick auf Details und eine feine Balance zwischen Distanz und Nähe an seine Motive heran. Dabei interessieren ihn weniger Inszenierungen als das authentisch Menschliche – das, was bleibt, wenn man den Blick auf das Wesentliche lenkt. Man liebt jemanden nicht, weil er perfekt ist. Man liebt jemanden trotz dessen, was er nicht ist. In seinen Arbeiten zeigt sich ein konsequentes Interesse für die Ambivalenz menschlicher Erscheinung. Die Fragilität, das Zweifeln, das Nicht-Eindeutige – das alles darf sichtbar werden, ohne erklärt oder aufgelöst zu werden. So entsteht ein Spannungsfeld zwischen Intimität und Zuversicht, das den Betrachter nicht belehrt, sondern einlädt, eigene Wahrnehmungsräume zu öffnen, die eigenen durch Selbstzweifel ausgelösten Grenzen zu überschreiten und Neues zu wagen. Seine Werke reflektieren dabei auch die Auseinandersetzung seiner eignen erlebten Unsicherheit, der Zerrissenheit in Momenten des Scheiterns. Mit handwerklicher Sorgfalt und einem virtuosen Umgang mit Licht und Raum, und der Fähigkeit seinem Gegenüber „in die Seele zu sehen“, entwickelt Kaspersetz eine ruhige visuelle Sprache, die sich nicht aufdrängt, sondern auf die innere Resonanz des Beobachters setzt. Seine Arbeiten fügen sich in den Dialog der Ausstellung als vielschichtige, präzise gesetzte Stimme – eine Perspektive, die sich dem Menschen in seiner Unvollkommenheit mit Respekt nähert, ohne ihn in philosophischer oder künstlerischer Form eingrenzen zu wollen.