Kultur (von lateinisch cultura „Bearbeitung, Pflege, Ackerbau“) bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur.
Das Konzept im Bunker Ulmenwall gedeiht auf kleinstem Raum.
1938 als Sanitätsbunker am Fuß des Bielefelder Sparrenbergs errichtet,
bietet der Bunker gerade mal 200 Quadratmeter öffentlich zugänglicher
Fläche, enge Gänge und Durchbrüche machen den Keller zum Winkelparcours.
Höchstens 200 Besucher umringen von drei Seiten eine kaum 20
Quadratmeter große Bühne, die in Augenhöhe zum Publikum bespielt wird –
ein heißer Ort für Jazz-Liebhaber, Künstler und Literaten, von den
Künstlern auch oft als „Toaster“ betitelt.
Der Bunker Ulmenwall – ein Ort für nicht kommerzielle Jugendkultur
Wie alles begann
Der Bunker am Ulmenwall wurde im Zuge der Vorbereitungen für den
Angriffskrieg der Nazis in den Jahren 1939/40 gebaut und diente während
des Krieges der Erstversorgung von bei Luftangriffen verletzten
Passanten.
Direkt nach dem Krieg wurde der Bunker kurze Zeit von einem kleinen
pharmazeutischen Betrieb genutzt, der dort Ätherprodukte herstellte. Ab
ca. 1947 fanden die sich nach dem Ende der Nazi-Herrschaft neu
konstituierenden Jugendgruppen wie Falken, Pfadfinder, CVJM oder auch
die „Deutsche Jugend des Ostens“ in den schon damals vom Jugendamt
verwalteten Räumen vorübergehend Unterschlupf.
Bunkerwart Selje
Der Puppenspieler Hellmut Selje war derjenige, der den Bunker seiner
endgültigen zivilen Bestimmung zuführte. 1949 zog er, vom Jugendamt
geduldet, mit seinem Puppentheater in die anfangs nur notdürftig
eingerichteten Kellergewölbe.
1954 begab sich Selje endgültig in die Obhut des Jugendamtes. Er wurde
der erste Bunkerwart. Erste weitergehende Umbauten wurden ermöglicht.
Der damalige Amtsleiter, Max Martin, ab 1956 auch sein junger
Mitarbeiter Paul Hirschauer, der spätere langjährige Leiter des
Bielefelder Jugendamtes, engagierten sich besonders für eine erweiterte
kulturelle Nutzung des Bunkers.
Etwa ab 1956 etablierte sich ein Teil der Bielefelder Jazzszene in den Kellerräumen am Ulmenwall. Zuerst gab es lediglich die von Hellmut Selje organisierten so genannten „Jazzbandballs“, Abende, an denen zu Dixieland- und Oldtime-Jazz, dargebracht von überwiegend lokalen Bands oder vom Plattenspieler, getanzt wurde. Big Band-Konzerte mit moderner Jazzmusik fanden damals an den Wochenenden nach den Vorstellungen in den beiden Kinos Astoria und Capitol statt. Das berühmte „Stan Kenton Orchestra“ hatte 1953 einen umjubelten Auftritt im Capitol. Solist war übrigens der junge Alt-Saxophonist Lee Konitz, ein Musiker, der 40 Jahre später mehrfach im Bunker zu hören war.
Der Bielefelder Jazzclub, nicht identisch mit dem heute unter diesem Namen firmierenden, lud ab 1957 alle zwei Wochen zu Vorträgen über Stile und Musikerpersönlichkeiten in den Bunker. Die neuesten Platten wurden gespielt und besprochen. Die Szene war gemischt. Auch die Anhänger neuer Jazzmusik hatten dort ihren Platz.
Die wilden 60er – Von May bis Degenhardt
Nach Aussage von Paul Hirschauer, dessen Engagement für den Bunker
jahrzehntelang sprichwörtlich war, musste im Jahr 1960 ein
weitergehendes Nutzungskonzept erstellt werden, um die nötigen
Umbaumaßnahmen, wie Einbau einer Lüftung und einige bauliche
Veränderungen, zu begründen. Dieses Konzept enthält bereits die noch
heute existierenden Schwerpunkte des Veranstaltungsprogramms und einiges
mehr. Folgende Sparten wurden angeboten: Jazz, Kleinkunst/Kabarett,
Chanson, Literatur, Kammertheater, Film (damals Kintopp genannt),
Diskussionen, Vorträge und Puppentheater.
Nach den Umbauten, welche die Stadt Bielefeld die Summe von 68.725,00 DM
kostete und während derer der Bunker ein halbes Jahr geschlossen blieb,
wurden 1961 Marie-Luise und Horst Löhr als erste hauptamtliche
Mitarbeiter vom Jugendamt eingestellt. Der Bunker, nominell ein
„Studentenclubheim“ für Menschen über 18 Jahre, wies im Jahre 1961, dem
ersten nach der weitreichenden Umstrukturierung, folgende
Veranstaltungen aus: 19 Jazzbandbälle, 12 Vorträge, 13
Tanzveranstaltungen, 4 Ausstellungen, 4 Autorenlesungen, 2 sonstige
Veranstaltungen, 2 Diskussionen und 33 Puppentheatervorführungen.
Die Programmplanung und Koordination sowie die Verwaltungsarbeiten
oblagen dem Ehepaar Löhr. Für die technische Abwicklung und die
Organisation der Veranstaltungen war der sogenannte Seniorenbeirat
zuständig, der sich aus Mitglieder des Stammpublikums zusammensetzte.
Schnell etablierte sich der Bunker durch aufsehenerregende
Veranstaltungen in den Bereichen Jazz und Literatur und durch weithin
beachtete Ausstellungen junger Künstler als eine der wichtigsten Zentren
für Kultur jenseits des Mainstream. Die ungezwungene Atmosphäre, die
allein schon räumlich bedingte Nähe zwischen Vortragendem und Publikum,
verschafften dem Bunker seine besondere Identität, die durch die
innenarchitektonische Gestaltung der Räume durch Studenten der damaligen
Werkkunstschule Bielefeld noch betont wurde. Schwarze Wände und Decken,
Tische in dunklen Winkeln, ein klassischer Jazzkeller.
Die Angriffe, denen der Bunker schon damals von Seiten der eher
konservativen Öffentlichkeit ausgesetzt war, hatten vielleicht auch in
diesem Erscheinungsbild ihren Ursprung. So berichtete Paul Hirschauer,
dass eine Kommunalpolitikerin, seinerzeit CDU-Sprecherin im
Kulturausschuss, während einer Sitzung desselben, die auf den Bunker
bezogenen Worte sprach: ”Diese Untergrundkultur, die ich mich weigere
Kultur zu nennen […]”.
Trotz solcher Fehlleistungen, die hohe Qualität des
Veranstaltungsprogramms prägte das Bild des Bunkers in der
kulturinteressierten Öffentlichkeit. Immer spiegelte es die
Persönlichkeit und das Engagement der Programm-Macher und das waren zu
jener Zeit nicht nur die hauptamtlich im Bunker Beschäftigten. So
gewannen die Autorenlesungen durch die Kontakte und die Arbeit des
Bielefelder Autors Wolfgang Hädeke und des ehemaligen Lektors der
Stadtbibliothek Walter Neumann bald überregionale Bedeutung. Gabriele
Wohmann, Hellmut Heißenbüttel, Reinhard Lettau, Elias Canetti und Peter
Huchel sind einige Autoren, die den Bunker besuchten.
Etwa seit Mitte der 60er Jahre zählte der Bunker zu den führenden
Jazzclubs in der Bundesrepublik. Dennoch präsentierten die damaligen
Leiter eine zeittypisch eher bunte Mischung aus Chanson, Literatur,
Kabarett und Jazz. So legendäre Exponenten der populären Kultur wie
Reinhard Mey, der Bielefelder Hannes Wader, Dieter Hallervorden,
Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und Hans-Dieter Hüsch,
präsentierten ihre frühen Programme im Keller an der Kreuzstraße.
Adams, Dillmanns und die anderen
In den 60er und 70er Jahren war der Bunker mit seinem dichten Veranstaltungsprogramm in Bielefeld praktisch konkurrenzlos. Die Waldbühne auf der Johannislust und das Kamp hatten ein anderes Profil. Der Schwerpunkt der Veranstaltungsprogramme der Bunkermacher verlagerte sich während der letzten 35 Jahre kontinuierlich in Richtung auf zeitgenössische improvisierte Musik und modernen Jazz.
Immer war der Bunker offen für Anderes, Neues. Götz und Monika Adam
(im Bunker von 1973 bis 1981) gelang es, in allen Sparten ein
gleichmäßig gutes und buntes Programm anzubieten.
Raymund Dillmann (1981 bis 1986) dagegen kombinierte in seiner
Veranstaltungstätigkeit eher konventionelle Darbietungen mit einzelnen
Highlights, hauptsächlich aus dem Bereich des Freejazz.
Corinna Luttmann (1987 bis 1992) und Rainer Schürmann (1987 bis 1995)
versuchten, den Bunker in der zunehmenden Konkurrenz zu anderen
Veranstaltungsorten mit einem klar definierten Angebot zu behaupten.
Nach einer Phase der veranstalterischen Selbstfindung wurde auf Konzerte
aus dem Bereich Dixieland ganz und auf Folklore weitgehend verzichtet.
Heute steht der Bunker für modernen Jazz, Literatur und Kabarett. Seinen
legendären Ruf als Veranstaltungsort verdankt er fast ausschließlich
den Jazzkonzerten.
Eine Zäsur – Die Gründung des Vereins
Im Zuge der Neustrukturierung der Stadtverwaltung wurde der Bunker 1996 aus der Obhut der Kommune entlassen und einem Trägerverein überantwortet, der seitdem die Geschicke des Clubs lenkt. Viele dem Bunker Nahestehende schmerzt es noch heute, dass es nicht gelang, ihn als städtisches Jugendkulturzentrum weiterzuführen. Markus Schwartze und Klaus Scheuer gelang es, das Programm trotz spürbarer finanzieller Einschnitte auf hohem Niveau weiterzuführen.
Von 2001-2009 war Kornelia Vossebein als Geschäftsführerin für das Programm verantwortlich, sie steuerte den Bunker mit Engagement und Kompetenz durch alle Widrigkeiten. So setzte der Club unter ihrer Führung verstärkt auf Vernetzung, mit lokalen Partnern, mit dem WDR Köln, mit Dachverbänden wie dem DPWV, der „Deutschen Jazz Förderation“ und dem „European Jazz Network“. U.a. wurde 2003 die „Gemeinschaft unabhängiger Spielstätten NRW“ gegründet, um trotz schwindender kommunaler Förderung Austauschprojekte und Konzertreihen verwirklichen zu können.
Im April 2009 wurde die Vollzeitstelle von Kornelia Vossebein in zwei Teilzeitstellen von jeweils 19,5 Stunden aufgeteilt. Jörn Brömelmeyer übernahm seitdem die technische Leitung und arbeitete sich in die operative Geschäftsführung ein. Kornelia Vossebein wechselte zum Juli 2009 als neue Geschäftsführerin zur Zeche Carl nach Essen. Carsten Nolte wurde ihr Nachfolger in der pädagogisch-künstlerischen Leitung und übernahm sukzessive die Geschäftsführung.
Der Umbruch in der Vereins- und Geschäftsführung 2014-15
Im Sommer 2014 beendete Wolfgang Groß nach 18 Jahren seine Tätigkeit als
1. Vorsitzender des Vereins. Ende 2014 übergab Carsten Nolte die
Geschäftsführung an Lena Jeckel, zusammen mit Cayan Cankatli. Mit dem
neuen Vorstand wird der Weg in die Zukunft beschritten.
In den folgenden Jahren wurden wichtige Weichen gestellt um weiterhin Jugendprojekte, Sessions und ein anspruchsvolles Veranstaltungsprogramm auf die Beine zu stellen. In der Zeit konnten durch Kooperationen mit dem WDR3 und dem Gütersloher Jazzfest erstklassige Konzerte im Bunker stattfinden. In dieser Zeit wurde der Bunker Ulmenwall mehrfach für seine Programmarbeit ausgezeichnet: Dem Deutschen Spielstättenpreis 2016, dem „Applaus“-Preis und dem WDR-Ehrenpreis 2018. Auf Initiative durch Lena Jeckel und in Zusammenarbeit mit dem Kulturkombinat wurden die Sonnenaufgangskonzerte auf der Sparrenburg aus der Taufe gehoben. Ende 2018 wechselte Lena Jeckel nach Gütersloh um dort die Kulturgeschicke zu leiten.
Seit März 2019 ist Frieda Wieczorek als Geschäfts- und pädagogische Leitung des Bunker Ulmenwall tätig.
Im Jahr 2019 wurde dem Bunker Ulmenwall e.V. die Ehre zuteil, den zweijährig verliehen Kulturpreis der Stadt Bielefeld verliehen zu bekommen, „… seit über 60 Jahren als soziokulturelle Bildungs- und Musikveranstaltungsstätte lebendige Musikkultur vermittelt…, … und ist weit über Bielefeld hinaus bekannt und anerkannt.“
Unverzichtbar
Das Wesen des Bunker Ulmenwall kann durch die Auflistung der Berühmtheiten, die auf seiner Bühne standen, nicht erfasst werden. „These Walls are soaked with music“, sagte der amerikanische Alt-Saxophonist Arthur Blythe, als er versuchte, das auch Jazzstars wie ihn immer wieder bewegende Flair eines Bunkerkonzertes zu beschreiben. Die Atmosphäre der Kellerräume, der intime Rahmen, in dem sich Publikum und Künstler hier begegnen, war und ist prägend für die kulturelle Sozialisation vieler Menschen im Großraum Bielefeld. Und so wollten und wollen alle, die im Bunker tätig waren oder sind, ihn verstanden wissen: als Forum des kulturellen Austausches, als Laboratorium für Neues, als eine Bühne für das, was im Betrieb der kommerziellen Geschäftigkeiten gern übergangen wird und als ein Zuhause für junge Künstler aus Bielefeld, die sich und ihre Arbeit hier oft erstmals einem kritischen Publikum präsentieren.
„Wer zerkratzt schon gern sein eigenes Gesicht“, mahnte der ehemalige Oberstadtdirektor Bielefelds, Dr. Volker Hausmann, die Verantwortlichen der Verwaltung, als die Existenz des Bunkers gefährdet war. Diese Bühne, so klein sie ist, bleibt unverzichtbarer Bestandteil der Bielefelder Kultur.“
2014 wurde der Bunker Ulmenwall als beste Spielstätte Deutschlands 2013 (Kategorie 2) ausgezeichnet.
Ursprungstext von Rainer Schürmann, überarbeitet 2015
Bilder aus dem Buch „These Walls Are Soaked with Music!“ – Geschichten von ’56 bis morgen.Das Wesen des Bunker Ulmenwall kann durch die Auflistung der Berühmtheiten, die auf seiner Bühne standen, nicht erfasst werden. „These walls are soaked with music“, sagte der amerikanische Alt-Saxophonist Arthur Blythe, als er versuchte, das auch Jazzstars wie ihn immer wieder bewegende Flair eines Bunkerkonzertes zu beschreiben. Die Atmosphäre der Kellerräume, der intime Rahmen, in dem sich Publikum und Künstler hier begegnen, war und ist prägend für die kulturelle Sozialisation vieler Menschen in dieser Stadt. Und so wollten und wollen alle, die im Bunker tätig waren oder sind, ihn verstanden wissen: als Forum des kulturellen Austausches, als Laboratorium für Neues, als eine Bühne für das, was im Betrieb der kommerziellen Geschäftigkeiten gern übergangen wird und als ein Zuhause für junge Künstler aus Bielefeld, die sich und ihre Arbeit hier oft erstmals einem kritischen Publikum präsentieren. (Rainer Schürmann) Fotos von: Götz Adam, Uli Gröne, Hans-Jürgen Kersten, Wolf Schimmang, Rainer Schmidt, Eckart Schönlau, Thomas Weiss u.a.; Texte von: Stefan Brams, Wolfgang Groß, Carsten Nolte, Rainer Schmidt, Bernd J. Wagner u.a.
im Bunker Ulmenwall oder bei Amazon erhältlich