Lammel/Lauer/Bornstein
Bild: David Pinzer
Das neue Werk reflektiert und dokumentiert die Entwicklung der vergangenen Jahre. Seit dem Erscheinen von Look At Me unternahm das Trio, das sich als feste Band unterschiedlicher Charaktere beschreibt, jedes Frühjahr und jeden Herbst eine Tournee von mindestens zwei Wochen. Darüber hinaus spielten LLB Support-Gigs für Billy Cobham und China Moses, bei diversen Festivals und in unzähligen renommierten Clubs. Alle Stücke von Field wurden schon vor einer Weile geschrieben, ins Bühnenrepertoire integriert und im Lauf der Zeit entweder „rundgespielt“ oder Metamorphosen unterworfen. Etwa indem eine ursprünglich ruhig gedachte Improvisation durch die Energie auf der Bühne einen wesentlich offensiveren Gestus bekam, der bis zur Studioaufnahme beibehalten wurde.
Es gehört zu den Grundprinzipien des Kollektivs, erst dann ein neues Album einzuspielen, wenn die Kompositionen und deren spezifischer Klang in Konzerten ausgearbeitet wurden. Auch in anderer Hinsicht gibt es direkte Verbindungen zwischen Bühne und Studio. Live lässt das Trio gerne mehrere Stücke ineinander übergehen, vermeidet zugunsten von Intensität und Spannungsbögen Pausen zum Klatschen. Konsequent kann Field ohne Pausen zwischen den einzelnen Titeln gehört werden. Es gibt aber Indexmarken zur selektiven Track-Auswahl.
Die Spanne von kammermusikalischer Transparenz zu kraftvollen, mit Verve oder knackiger Vehemenz gespielten Passagen ist auf Field noch größer geworden. Einige der neuen Kompositionen wurden von Anfang an druckvoller angelegt, was wiederum mit der Entwicklung der Bühnenperformance und -technik zusammenhängt. Als studierter Tonmeister ist Pianist Lammel auf Tournee gewissermaßen ein vierter Mann in der Band. Er weiß präzise, mit welchem Equipment leise Stellen brillant-akustisch und voluminöse Klänge, etwa Sub-Bässe und getriggerte Drum-Hiebe, richtig kraftvoll klingen, ohne dass Bass und Schlagzeug den Flügel dabei überlagern. In letzter Zeit treten LLB kaum mehr ohne PA auf, weil sich ihrer Erfahrung nach erst durch umfassende Verstärkung die enormen Unterschiede zwischen feinsinnigen Nuancen und Rock-ähnlichen Crescendi darstellen lassen.
Der gemeinsame Erfahrungsschatz prägt den Sound und das Zusammenspiel des Trios. Jeder hat die Möglichkeit, sich aus der klassischen (Begleiter-)Rolle herauszubewegen. Intuitive Verständigung führt zu absoluter Verlässlichkeit, die in Improvisationen als sicherer Kompass die Richtung weist. Damit einher gehen noch ausgefeiltere Kompositionen.
Generell betrachten sich René Bornstein und Andreas Lammel als Song-orientierte Tonsetzer. Vieles auf Field klingt beim ersten Hören weniger komplex als es tatsächlich ist und dieser Effekt ist absolut gewollt. Die Musiker legen Wert auf eine fließende Ästhetik, sind aber nicht darauf aus, ihre überwiegend ungerade Metrik ins Bewusstsein des Publikums zu hämmern. 7/8- oder 5/4-Takte seien vor allem interessant, weil sie auch die Harmonien beeinflussten und sich dadurch neue Bögen ergäben, sagt Hauptkomponist René Bornstein. Erst das Aufbrechen gängiger Rhythmen und Kirchentonleitern öffne Räume für Klangfarben und Strukturen, die nicht nur das Publikum, sondern mitunter auch sie selbst überraschten.
Der Sound von Field ist insgesamt noch etwas direkter geworden. Zudem sei, erklärt das Trio, jede Komposition mit konkreten Stimmungen und persönlichen Bildern verbunden. Wer auf Arrangement-Details achtet ahnt schnell, dass es sich teilweise um recht umfangreiche Partituren handeln muss. Häufig gehen notierte und improvisierte Teile nahtlos ineinander über, trotzdem sind die aufgenommenen Stücke, besonders im Vergleich zu ihren Live-Versionen, relativ kompakt und prägnant gehalten.
Der Aufmacher Dear Robert ist Bornsteins Hommage an einen bekannten deutschen Jazzmusiker, dessen Spielweise das Trio hörbar inspiriert. Last Kiss reflektiert Theorien des Schweizers Ernst Levy (1895-1981), in denen es um „gute“ und „schlechte“ Akkorde geht, die durch Achsenspiegelungen erzeugt werden. Die komplizierte Konstruktion des Stückes macht sich indes nicht wichtig, bleibt vielmehr distinguiert im Hintergrund. Goodnight My Dear bewegt sich gedanklich vom Einschlafen über Abschiede zum Konzept des Loslassens, es intoniert Dramatik durch überlagernde Basslinien und am Ende eine Auflösung in Entspannung. Andreas Lammels Sinfonia spielt mit der Überlegung, wie ein Trio orchestraler klingen kann und kreiert einen langen Bogen im Popsong-Format. Harmonien sind hier dem Impressionismus entnommen, die Polyrhythmik weist auf zeitgenössischen Jazz. Minjung ist eine Art Fortsetzung von Mignon auf der Vorgänger-CD; damals handelte es sich um eine Schumann-Adaption, jetzt um eine eigene Komposition, gesetzt im romantischen Stil. Durch sein Tonmeister-Studium kam Lammel vor einigen Jahren wieder zurück zur europäischen Klassik, von der er als junger Schüler (zunächst Geige, dann Klavier) umgeben war.
Da auch Bornstein auf dem Klavier komponiert und als Bassist klug mit dem Bogen umzugehen weiß verwundert es kaum, dass an mehreren Stellen des Albums klassische Einflüsse aufleuchten. Hingegen figuriert Tau als Referenz an das aktuelle Berlin. Grooves und Beats und Lammels quirlige rechte Hand vermitteln Gro.stadtgetümmel, während der Pianist mit links die enorme Weite des Tempelhofer Felds imaginiert.
Das Areal des stillgelegten Berliner Innenstadt-Flughafens ist ein zentrales Motiv von Field. Der Albumtitel nimmt einerseits Bezug auf den vielfältig genutzten realen Ort, assoziiert darüber hinaus den Begriff des Spielfelds, auf dem sich Lammel | Lauer | Bornstein bewegen und dessen Grenzen sie immer weiter stecken. Das Coverfoto der CD stammt aus dem gewitzten Video zu Tau, auf das die Musiker zurecht stolz sind. Schon weil sie in wochenlanger Vorbereitung Drehbuch und Schnittfolgen selbst geschrieben und unzählige behördliche Widerstände überwunden haben. Schließlich zerrten sie eigenhändig den eigens dafür angeschafften Flügel vom Begrenzungszaun des Feldes in dessen Mitte. Die Entschlossenheit, eigene Vorstellungen durchzusetzen, zeichnet LLB in vieler, natürlich auch musikalischer Hinsicht aus. Ihr atmosphärischer bis energiegeladener, bei allem Eklektizismus klar definierter KlaviertrioSound spricht ein vielfältiges, in diversen Genres beheimatetes Publikum an.
Andreas Lammel . piano // René Bornstein . double bass // Florian Lauer . drums
09. Dezember 2022 | Bunker Ulmenwall